Am Mittwoch noch kündigte Kurt Beck an, nach Fastnacht und Politischem Aschermittwoch rücke wieder die sachliche Arbeit in den Vordergrund. Jederfrau und Jedermann in Rheinland-Pfalz wissen, was das für den Ministerpräsidenten und SPD-Spitzenkandidaten bedeutet: konkretes Kümmern um die Sorgen der Leute, die Bedingungen für gutes Leben und Arbeiten in Rheinland-Pfalz noch besser zu machen. Bevor der „sachliche Wahlkämpfer“ und Hauptredner des Abends Kurt Beck das Binger Parkett betrat, schlüpfte der örtliche Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann in eine ungewohnte Rolle, die er souverän ausfüllte: Als Moderator eines Gespräches mit dem Landtagsabgeordneten Michael Hüttner führte er die Gäste in den SPD-Abend ein. Hartmann stellte zu Beginn hochzufrieden und mit einem Augenzwinkern fest, „dass an einem Donnerstag hier in Bingen mehr Menschen im Saal sind um Kurt Beck zu sehen, als normalerweise zur gleichen Zeit im Deutschen Bundestag.“ Der gelernte Polizist Hüttner, sportbegeisterter Innpolitiker der SPD-Landtagsfraktion, machte bei seinem Exkurs ins Abgeordnetendasein keinen Hehl daraus, dass vor seiner ersten Rede im Landtagsplenum „mein Magen die Größe einer Erbse“ gehabt habe. „Die erste Rede ist etwas ganz Besonderes“, so Hüttner, der seine erste Legislatur erlebte. Hüttner kandidiert erneut für den rheinland-pfälzischen Landtag und zieht folgende Bilanz: „Unter dem Strich ist in den letzten fünf Jahren viel Gutes für Rheinland-Pfalz herausgekommen“.
Kurt Beck, der zum Einmarsch von rhythmischem Klatschen von 300 Menschen begrüßt wurde und wohl am liebsten jeder und jedem einzelnen die Hand geschüttelt hätte, machte zu Beginn seiner Rede deutlich, was er unter Kümmern versteht: „Wir haben den Weinbauern hier geholfen, als die Zeiten schwierig waren. Und jetzt ist es so: Der Wein hier hat eine hervorragende Qualität und die Kinder wissen, es lohnt sich, den Betrieb der Eltern zu übernehmen. Die Perspektive hier ist gut, und das ist gut für unser Land“, sagte Kurt Beck im Bingener Kulturzentrum. Er erinnerte daran, dass die Politik in einer großen Kraftanstrengung ein Desaster durch die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise verhindern konnte. Dazu gehörte das Konjunkturpaket II, welches den Kommunen Investitionen in Infrastruktur und die energetische Gebäudesanierung mitten im Abschwung ermöglichte, 19 Millionen Euro entfielen auf Bingen.
Zur sachlichen Darstellung sozialdemokratischer Ziele gehört für den Ministerpräsidenten eine Sache ganz zentral, und das ist, den sozialen Aufstieg aller Kinder und Jugendlichen durch Chancengleichheit im Bildungssystem weiter zu fördern und verbessern. „Mir hat nie eingeleuchtet, warum die Kinder aus einer Arbeitnehmerfamilie, einer Winzerfamilie oder einer Dienstleisterfamilie, sich nicht ihren Begabungen entsprechend weiterentwickeln können, nur weil die Eltern kein Geld für Nachhilfe haben. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch volkswirtschaftlich dumm, weil wir ihre Fähigkeiten so dringend brauchen.“ Deshalb habe die SPD vor fünf Jahren versprochen, man werde in Rheinland-Pfalz 250 Ganztagsschulen errichten. „Heute sind es 600 Ganztagsschulen: Versprochen, und weiß Gott, gehalten, liebe Freundinnen und Freunde“. Die Schwächen von Kindern müssten ausgeglichen, und ihre Stärken gefördert werden, so der Ministerpräsident. Beck kritisierte in diesem Zusammenhang den Plan der CDU, Kindern nach nicht bestandenen Sprachprüfungen den Zugang zur Grundschule zu verweigern. „Ich halte das für einen verheerenden Ansatz. Was soll denn ein Kind fühlen, wenn es zurückgesetzt wird? Und was denken die Eltern, wenn die einen, mit denen ihr Kind im Kindergarten war, zur Schule geht, und das eigene Kind bleibt zurück? Unsere Antwort ist: Wenn es mit der Sprache noch nicht ausreichend ist, dann wird die Sprachförderung parallel zur Grundschule fortgesetzt. Aber wird werden Kinder nicht mit vier oder sechs Jahren einer Prüfung unterziehen, durch die sie durchfallen können! Kinder müssen auch noch Kinder bleiben“, so Beck mit viel Druck in der Stimme und unter großem Applaus des Publikums.
Verwundert zeigte sich Kurt Beck von der FDP, die sich die Rettung des Gymnasien aufs Wahlplakat geschrieben hat. „Ich frage mich, vor wem das Gymnasium gerettet werden soll? Als wir angefangen haben zu regieren gab es 131 Gymnasien – heute gibt es 141 Gymnasien. Wieso wir die Feinde des Gymnasiums sein sollen, das muss die FDP erstmal erklären“, spöttelte Beck über die Hilflosigkeit der „mächtigen Partei“ in Sachen Schul- und Bildungspolitik. Er hielt die sozialdemokratische Idee des Aufstiegs durch Bildung entgegen. Und das bedeutet vor allem eine hohe Qualität in den Schulen für alle Kinder und Jugendliche.
So werde die SPD die so genannte demographische Rendite – also das theoretische Freiwerden von Lehrerstellen aufgrund rückläufiger Schülerzahlen – in die Reduzierung der Klassengröße investieren. „Wir werden diese Stellen in den Schulen belassen. An den Grundschulen werden wir höchstens 24 Kinder in einer Klasse haben und wir werden die Klassen in der Orientierungsstufe begrenzen auf höchstens 25 Kinder.“ Ab dem Schuljahr 2012/2012 wird es in Rheinland-Pfalz in der Sekundarstufe eine freie Busbeförderung geben. Für Bürgerinnen und Bürgern aus anderen Bundesländern, wo heftig über die Schulformen gestritten wird und wo die Bildungspolitik zum Steinbruch für die Haushaltssanierung wird, dürften sich diese Ankündigungen wie aus einer anderen Dimension anhören. Der Applaus der Binger machte lautstark klar: Für sie ist das ganz normale, gute sozialdemokratische Politik für die Menschen à la Kurt Beck.